Kinder in Krisen der Institutionen (KIKDI)
Verfasserin: Dr. Martina Grögl-Buchart
Mitglieder der Arbeitsgruppe KIKDI: Elizabeth Baum-Breuer, Rainer Fliedl, Stephan Dangl, Peter Gajdosik, Martina Grögl-Buchart, Monika Klose, Elisabeth Krisch-Kranich, Wolfgang Maresch-Zenica, Manuela Rottensteiner
Mitglieder des mobilen Untersuchungsteam: Claudia Bilka, Stephan Dangl, Martina Grögl-Buchart
Kurzinformation
Im Kindernetzwerk Industrieviertel wurde beobachtet, dass Kinder immer wieder im Verlauf der stationären Betreuung und Behandlung in Krisen geraten, welche zum Abbruch der Maßnahme und zum Einbruch des Behandlungsverlaufes führen. Eine deutliche Verschlechterung der aktuellen Lebenssituation und der Prognose des Kindes/Jugendlichen (K/J) sind die Folge.
Dabei handelt es sich, wie im Arbeitskreis „Kinder zwischen den Sesseln“ beschrieben, häufig um Kinder mit langen Behandlungskarrieren in oft wechselnden Einrichtungen mit einer komplexen Problematik, welche einer Kombination aus pädagogischer, sozialpädagogischer, fördertherapeutischer, medizinischer und psychotherapeutischer Betreuung und Behandlung bedürfen (vgl. Plattform Kindernetzwerk, Arbeitskreis Kinder zwischen den Sesseln, 2013). Eltern, denen das Zutrauen in ihre Kinder und ihre eigenen Kompetenzen verlorengegangen ist, finden hoch professionelle Hilfesysteme vor, die nicht ausreichend koordiniert sind und an den Übergängen von einer Institution zur nächsten zu wenig kommunizieren.
Ausgehend von der Hypothese, dass in Anlehnung an eine Definition von psychosozialen Krisen nach Sonneck (s.unten), auch Einrichtungen in Krisen geraten können und diese Krisen dann zum Abbruch des stationären Aufenthaltes führen, hat die Plattform Industrieviertel das Teilprojekt KIKDI ins Leben gerufen und eine Arbeitsgruppe beauftragt, sich mit dem Thema „Kinder in Krisen der Institutionen“ auseinanderzusetzen.
Das Ziel ist, K/J mit psychosozialen Auffälligkeiten ein verantwortungsvolles Gegenüber zu bieten (siehe Definition Plattform Industrieviertel) und Beziehungsabbrüche in und durch Institutionen zu vermeiden (vgl. z.B. Grögl-Buchart, 2012).
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Präventionsmaßnahmen
- Ursachen für krisenhaftes Geschehen in Einrichtungen
3.1. Vom K/J ausgehend
- 3.1.1 Entwicklungsbezogene Krisen
- 3.1.2 Beziehungskrisen
- 3.1.3 Bandenbildung/Gruppendynamik
- 3.1.4 Psychiatrische Krisen
3.2 Institutionell bedingte Krisen
- 3.2.1 Auftrag und/oder die Zielvereinbarung betreffend
- 3.2.2 Personelle Probleme
- 3.2.3 Unreflektierte Teamdynamik
- 3.2.4 Unklare Organisationsstrukturen
4. Falldarstellungen
4.1. Einleitung
- 4.1.1 Herangehensweise
- 4.1.2 Auswahl der Fälle
- 4.1.3 Setting der Befragung
- 4.1.4 Fallbesprechung/Klärung mit dem jeweiligen Betreuungsteam
- 4.1.4.1 Entwicklungsverlauf
- 4.1.4.2 Strukturiertes Interview
- 4.1.5 Analyse
4.2. Einzelfalldarstellungen
4.3. Ergebnisse
5. Mögliche Interventionsformen
- 5.1 Voraussetzungen
- 5.2 Die Aufgaben/Interventionen des Mobilen Unterstützungsteams (MUT)
6. Zusammenfassung und Ausblick
7. Literaturhinweise und Links
1. Einleitung
Im Kindernetzwerk Industrieviertel wird beobachtet, dass Kinder immer wieder im Verlauf der stationären Betreuung und Behandlung in Krisen geraten, welche zum Abbruch der Maßnahme und zum Einbruch des Behandlungsverlaufes führen. Eine deutliche Verschlechterung der aktuellen Lebenssituation und der Prognose des Kindes/Jugendlichen (K/J) sind die Folge.
Dabei handelt es sich, wie im Arbeitskreis „Kinder zwischen den Sesseln“ beschrieben, häufig um Kinder mit langen Behandlungskarrieren in oft wechselnden Einrichtungen mit einer komplexen Problematik, welche einer Kombination aus pädagogischer, sozialpädagogischer, fördertherapeutischer, medizinischer und psychotherapeutischer Betreuung und Behandlung bedürfen (vgl. Plattform Kindernetzwerk, Arbeitskreis Kinder zwischen den Sesseln, 2013). Eltern, denen das Zutrauen in ihre Kinder und ihre eigenen Kompetenzen verlorengegangen ist, finden hoch professionelle Hilfesysteme vor, die nicht ausreichend koordiniert sind und an den Übergängen von einer Institution zur nächsten zu wenig kommunizieren.
Ausgehend von der Hypothese, dass in Anlehnung an eine Definition von psychosozialen Krisen nach Sonneck (s.unten), auch Einrichtungen in Krisen geraten können und diese Krisen dann zum Abbruch des stationären Aufenthaltes führen, hat die Plattform Industrieviertel das Teilprojekt KIKDI ins Leben gerufen und eine Arbeitsgruppe beauftragt, sich mit dem Thema „Kinder in Krisen der Institutionen“ auseinanderzusetzen.
Das Ziel ist, K/J mit psychosozialen Auffälligkeiten ein verantwortungsvolles Gegenüber zu bieten (siehe Definition Plattform Industrieviertel) und Beziehungsabbrüche in und durch Institutionen zu vermeiden (vgl. z.B. Grögl-Buchart, 2012).
Die Arbeitsgruppe hat sich zur Aufgabe gestellt:
- Präventionsmaßnahmen zu definieren
- Ursachen für krisenhaftes Geschehen in Institutionen zu beschreiben
- Repräsentative Fälle auszuwählen und zu untersuchen
- Mögliche Interventionsformen aufzuzeigen
Im Krisenmanual für das Industrieviertel wurden unterschiedliche Arten von Krisen (psychosozial, psychiatrisch, psychosomatisch) beschrieben, eine Krisencheckliste erstellt und gemeinsam Versorgungspfade vereinbart. Eine wichtige Grundlage für die weitere Arbeit ist auch der Aufsatz „Krisenunterbringung als systemischer Prozess gesehen“ (Tatzer, 2013). Darin wird beschrieben, dass Krisen von K/J immer auch als Krise des (dahinterstehenden) Systems zu verstehen sind. Krisendiagnostik muss daher immer alle Anteile des Gesamtsystems beachten, das Helfersystem inbegriffen.
Psychosoziale Krisen werden nach Sonneck folgendermaßen definiert: »Unter psy-chosozialen Krisen versteht man den Verlust des seelischen Gleichgewichtes, den ein Mensch verspürt, wenn er mit Ereignissen und Lebensumständen konfrontiert wird, die er im Augenblick nicht bewältigen kann, weil sie von der Art und dem Ausmaß her seine durch frühere Erfahrungen erworbenen Fähigkeiten und erprobten Hilfsmittel zur Erreichung wichtiger Lebensziele oder zur Bewältigung seiner Lebenssituation überfordern.« (Sonneck, 2012, S.15 ) In Anlehnung daran, ist davon auszugehen, dass auch Institutionen, die mit K/J Krisen bzw. mit k/J mit psychosozialen Auffälligkeiten arbeiten, selbst in Krisensituationen geraten, in denen die eigenen Fähigkeiten, Ressourcen und Rahmenbedingungen nicht ausreichen, die Situation aus eigener Kraft zu bewältigen. Somit ist Hilfe von außen erforderlich.
2. Präventionsmaßnahmen
Bereits vor einer Unterbringung sollten folgende Punkte beachtet und dokumentiert werden:
WIESO: Es ist eine umfassende multiprofessionelle Diagnostik (Soziale Arbeit, Sozialpädagogik, Schule, Psychologie, Psychiatrie und Pädiatrie) mit einer klar begründeten Empfehlung für eine Unterbringung inklusive einer Argumentation für nicht erhobene Befunde erforderlich.
WAS: Eine individuelle Betreuungs-/Behandlungsplanung, die auf die spezielle Problematik der jeweiligen K/J eingeht ist zu erstellen. Dabei ist zu beachten, dass K/J mit massiven psychosozialen Auffälligkeiten Einrichtungen benötigen, die ihr Angebot auf die Bedürfnisse und Möglichkeiten der K/J abstimmen und nicht umgekehrt. Bei Bedarf müssen für einzelne K/J die Konzepte erweitert oder adaptiert werden.
WO: Um eine geeignete Betreuungseinrichtung zu finden, ist in den Vorgesprächen volle Transparenz seitens der zuweisenden Stelle betreffend des „WIESO“ und des „WAS“ erforderlich sowie seitens der Einrichtung betreffend die vorhanden Ressourcen und Möglichkeiten. Problematisch sind in dieser Phase hoher zeitlicher und/oder öffentlicher Druck von der zuweisenden Stelle sowie Eigeninteressen der aufnehmenden Einrichtung.
WER: Die Auftragsklärung und Zielvereinbarung hat mit allen beteiligten Personen/Institutionen zu erfolgen. Zwischen Eltern, K/J, Kinder- und Jugendhilfeträger und Einrichtung ist eine schriftliche Vereinbarung zu treffen. Diese muss ein Ziel definieren sowie Mittel und Wege beschreiben, wie dieses Ziel zu erreichen ist. In dieser Vereinbarung müssen neben den Konsensbereichen auch die Konfliktfelder der „Vertragspartner“ benannt werden, die im Verlauf der Unterbringung immer wieder hinterfragt und bearbeitet werden müssen. Dabei ist es wichtig, Hilfesysteme wie z.B. TherapeutInnen, Schulen, ambulante Dienste etc. im Rahmen einer oder mehrere Helferkonferenzen (vgl. Plattform Kindernetzwerk, Arbeitsgruppe Helferkonferenzen, 2013) einzubinden.
3. Ursachen für krisenhaftes Geschehen in Einrichtungen
3.1. Vom K/J ausgehend
3.1.1. Entwicklungsbezogene Krisen
Gerade bei K/J, die in einer Einrichtung untergebracht sind, können wir erwarten, dass die Meilensteine der Entwicklung (Schulbeginn, Pubertät…) vermehrt Entwicklungskrisen auslösen. Unzureichende Kenntnisse darüber und/oder fehlende Auseinandersetzung damit im Behandlungs-/Betreuungsteam, können letztlich zu einer nicht mehr bewältigbaren Situation führen, wodurch die K/J für die Einrichtung nicht mehr tragbar scheinen.
3.1.2. Beziehungskrisen
In den stationären Einrichtungen ist es die Aufgabe des Fachpersonals eine Beziehung zu den K/J aufzunehmen. Durch das Angebot einer haltgebenden Beziehung kann bei den K/J die Regression auf frühe bzw. pathologische Beziehungsmuster hervorgerufen werden, was wiederum eine Beziehungskrise auslösen kann. Eine fehlende professionelle Bearbeitung kann in einem Beziehungsabbruch = Entlassung des K/J münden.
3.1.3. Bandenbildung/Gruppendynamik
In Einrichtungen können ungünstige Zusammensetzungen von K/J oder Einflüsse von außen (Freunde/Bekannte/Gangs) gruppendynamische Prozesse auslösen, die auch mit maximalem Personaleinsatz nicht mehr beherrschbar sind. Plötzliche Entlassungen von K/J und die damit verbundenen Beziehungsabbrüche, ohne weitere adäquate Versorgung können darauf folgen.
3.1.4. Psychiatrische Krisen
Akutes und chronisches selbst- und fremdgefährdendes Verhalten, Suizidalität und/oder psychotisches Geschehen bei K/J bedürfen einer engen Kooperation mit den zuständigen Kinder- und Jugendpsychiatrien und/oder niedergelassenen FachärztInnen. Sowohl eine unzureichende Zusammenarbeit zwischen den Institutionen, als auch eine fehlende psychiatrische Diagnostik in der betreffenden Einrichtung können solche Krisen verstärken und letztlich zu Betreuungs- und Behandlungsabbrüchen führen.
3.2. Institutionell bedingte Krisen
3.2.1. Auftrag und/oder die Zielvereinbarung betreffend
Ein unklarer Auftrag, unzureichende Zielvereinbarungen, die fehlende Überprüfung der Ziele während des Prozesses und/oder das Fehlen einer Arbeitshypothese können im Verlauf der Unterbringung eine nicht mehr lösbare Krise verursachen. Gleichermaßen problematisch ist es, wenn der Auftrag mit dem Konzept der Einrichtung nicht kompatibel ist.
3.2.2. Personelle Probleme
Personelle Engpässe durch Kündigungen, Krankenstände oder Schwangerschaften können sich plötzlich und unerwartet ergeben. Dadurch kann es zu einer Überlastung der verbleibenden MitarbeiterInnen kommen, wodurch eine negative Spirale im Sinne von weiteren Krankenständen bzw. Burnout in Gang gesetzt wird und eine institutionelle Krise entsteht.
3.2.3. Unreflektierte Teamdynamik
Fehlende Reflexion und Bearbeitung von Spaltungsprozessen aufgrund unqualifizierter/unerfahrener/nicht geeigneter MitarbeiterInnen/Vorgesetzte, fehlende Supervision und/oder Intervision können letztendlich auch zu Ausstoßungsprozessen von K/J führen.
3.2.4. Unklare Organisationsstrukturen
Beispiele dafür sind Unklarheiten der Funktionen und Verantwortlichkeiten, fehlende Strukturen für Kommunikation und Informationsweitergabe, unökonomische Dokumentationssysteme, Überbelag sowie Widersprüche zwischen Konzept und tatsächlichem Angebot.
4. Falldarstellungen
4.1. Einleitung
Im Zuge der Auseinandersetzung der Arbeitsgruppe mit der Thematik „Kinder in Krisen der Institutionen“, die sich über einen längeren Zeitraum erstreckte, wurde beschlossen, die theoretischen Ergebnisse anhand von Fallbeispielen zu veranschaulichen, zumal den VertreterInnen der Arbeitsgruppe solche Fälle aus ihrem Tätigkeitsbereich bekannt waren.
Für diese Überprüfung wurde ein Team (entsprechend einem mobilen Untersuchungsteam) aus zwei Mitgliedern der Arbeitsgruppe und einer Psychologin gebildet:
- Abteilungsleiterin der Sozialtherapeutischen Abteilung Hinterbrühl (STA), Ärztin für Allgemeinmedizin, Psychotherapeutin
- Abteilungsleiter des Zentrums für Krisenintervention und Klärung (die Brücke Hinterbrühl), Diplomsozialarbeiter
- Klinische Psychologin der Brücke Hinterbrühl, Psychotherapeutin i.A.u.S. Dieses Team griff aktuelle Fälle auf und bearbeitete diese im Sinne der oben angeführten Kriterien (Klärung und Analyse). Der Genehmigung dazu wurde von GS6 und GS7 sowie der Vorgesetzten der Dienststelle eingeholt.
4.1.1. Herangehensweise
- Auswahl der Fälle
- Setting der Befragung
- Fallbesprechung/Klärung mit dem jeweiligen Betreuungsteam
- Analyse
4.1.2. Auswahl der Fälle
Es wurde dabei Wert darauf gelegt unterschiedlich gelagerte Fälle auszusuchen, im Hinblick auf:
- die Dauer der Unterbringung in der von der Krise betroffenen Einrichtung
- die familiären Rahmenbedingungen
- die jeweilige Einrichtung (sowohl Landeseinrichtungen/private Träger)
- den Zeitpunkt der Untersuchung im Krisenprozess
- den Ausgang (eine Rückkehr in die betroffene Einrichtung, Entlassung nach Hause, Übernahme durch eine andere Einrichtung)
4.1.3. Setting der Befragung
In einer Einrichtung konnte das Betreuungsteam und eine Kleingruppe bestehend aus der pädagogischen Leitung und den zuständigen Psychologinnen im Plenum und getrennt befragt werden. In den beiden anderen Einrichtungen fand die Befragung und Reflexion aus organisatorischen und prozessualen Gründen im Plenum mit pädagogischer Leitung und dem Betreuungsteam statt.
Der vierte Fall hat insofern eine Sonderstellung, als es sich dabei um einen Jugendlichen handelt, der im Vorfeld in einer Einrichtung sexuell missbraucht wurde, mehrere Einrichtungswechsel erlebte und über Jahre hinweg eine krisenhafte Entwicklung nahm und nimmt. Deshalb wurde die Fallgeschichte retrospektiv unter Berücksichtigung der oben beschriebenen Kriterien analysiert.
4.1.4. Fallbesprechung/Klärung mit dem jeweiligen Betreuungsteam
Um die Fälle vergleichen zu können und nach den von der KIKDI-Arbeitsgruppe entwickelten Aspekten zu bearbeiten, wurde die Fallbesprechung zwischen dem jeweiligen Betreuungsteam der K/J und dem mobilen Untersuchungsteam anhand eines dafür entwickelten Leitfadens durchgeführt:
4.1.4.1. Entwicklungsverlauf
Dieser wurde anhand einer Timeline in Bezug auf relevante biographische, gruppen- und organisationsspezifische, diagnostische und psychodynamische Aspekte erstellt.
4.1.4.2. Strukturiertes Interview
Über die Präventionsmaßnahmen, die Krisenursachen und die gesetzten Interventionen der untersuchten Einrichtung wurden folgende Fragen bearbeitet:
a) Prävention
- Waren der Auftrag bzw. die Zielvereinbarung klar, transparent und gab es einen Plan wie das Ziel erreicht werden sollte?
- Wurde die Erreichung von Zielen während des Aufenthaltes überprüft?
- War der Auftrag mit dem Konzept der Einrichtung kompatibel?
- Entspricht das Konzept dem tatsächlichen Angebot?
- Gab es eine Arbeitshypothese innerhalb der Institution?
b) Ursachen für das krisenhafte Geschehen (bezogen auf K/J)
- Entwicklungskrise? Z.B. Pubertätskrise besonderer Ausformung? Wann hat das schwierige Verhalten begonnen?
- Beziehungskrise? Sind frühere Beziehungsmuster in Beziehungen zum Betreuungspersonal aufgetreten?
- Bandenbildung? Einfluss von außen? Spezielle Gruppendynamik?
- Einfluss durch Veränderungen im Familiensystem? Wurden Zusammenhänge zwischen der Biografie und Dynamiken innerhalb des Gruppengeschehens sichtbar?
c) Ursachen für krisenhaftes Geschehen (bezogen auf die Institution)
- Personalprobleme: längere Krankenstände, Schwangerschaft, Personalmangel, Kündigungen?
- Konnten Probleme innerhalb des Teams durch z.B. Intervision oder Supervision reflektiert werden?
- Gab es SozialpädagogInnen, die mit dem K/J besonders gut oder schlecht zurechtgekommen sind und gab es diesbezüglich Konflikte im Betreuungsteam?
- War die genaue Aufgabe und Verantwortlichkeit im Zusammenhang mit der Betreuung des K/J bzw. der Elternarbeit klar?
d) Interventionen seitens der Einrichtung
- Wurde das krisenhafte Geschehen an die Leitungspersonen weitergeleitet? Haben diese etwas unternommen? Was war das? War das Betreuungsteam darüber informiert?
- Gab es eine Kooperation zwischen internen und externen multiprofessionellen Helfersystemen? Wie war diese zu bewerten?
- Welche Interventionen wurden gesetzt?
4.1.5. Analyse
Die Analyse der Fälle erfolgte anhand und entlang der von der Arbeitsgruppe KIKDI entwickelten Kriterien. Es wurden die Interviews ausgewertet, eine Gegenüberstellung der Fälle erstellt und die Fälle nach den Risikofaktoren, die aus dem Projekt „Kinder zwischen den Sesseln“ erarbeitet wurden, bewertet. Die Interventionen seitens der Einrichtung wurden ebenso betrachtet.
4.2. Einzelfalldarstellungen
Fall A: 14a, weiblich, seit zehn Jahren in der Einrichtung AX, war dort nicht mehr tragbar, eine dringende Anfrage einer raschen Überstellung an die STA wurde eingebracht. Die Leitung der Einrichtung AX wurde über das KIKDI-Projekt informiert und war mit einer Aufnahme in der Brücke Hinterbrühl einverstanden. Ein Termin mit dem Untersuchungsteam wurde vereinbart. Die Einrichtung AX machte aber deutlich, dass A nicht mehr zu ihnen zurück kann. Gleichzeitig war die Mutter der Jugendlichen gegen eine Rückführung in die Einrichtung AX, die Tochter hingegen wünschte sich eine Rückkehr in ihre Wohngruppe. Im Rahmen der Krisenunterbringung entschieden sich Mutter und Tochter für die Wiedereingliederung des Mädchens in das Familiensystem. Mittlerweile ist die Jugendliche in einer neuen Einrichtung fremduntergebracht.
Fall B: 14a, weiblich, seit über 2 Jahren in der Einrichtung BX, zum Untersuchungszeitpunkt in der Brücke Hinterbrühl wegen einer Krise in der Einrichtung BX. Es handelte sich in diesem Fall um eine Wochenendaufnahme, ein anderer Krisenplatz wurde von der Leitung der Einrichtung BX koordiniert und B dorthin überstellt. Eine Wiederaufnahme in die Einrichtung BX war von Beginn an beabsichtigt und wurde der Jugendlichen vermittelt. Die Rückführung wurde nach einer kurzen Auszeit verwirklicht und das Untersuchungsteam zu einem Termin mit der Einrichtung BX eingeladen.
Fall C: 16a, weiblich, seit ca. 3 1/2 Jahren in der Einrichtung CX. Davor war die Jugendliche 13 Jahre in einer anderen Institution, von der aus eine Überstellung im Rahmen einer chronischen Krise in die Einrichtung CX erfolgte. Dort kam es vor 1 ½ Jahren zu einer neuerlichen Krise. Eine vierwöchige Krisenintervention durch ein KRIZ ermöglichte die Rückführung in die Einrichtung CX. Die Untersuchung fand 2 Jahre danach statt.
Fall D: 15a, männlich, nach mehreren Abbrüchen in verschiedenen Wohngemeinschaften und Missbrauch in einer davon, erfolgte vor 1 ½ Jahren ein therapeutischer Aufenthalt an der STA. Im Rahmen der Suche nach einer Folgeeinrichtung kam es zu einer massiven Krise, die eine „Auszeit“ erforderte. Eine andere Landeseinrichtung erklärte sich zu einer vorübergehenden Aufnahme des Jugendlichen bereit. Im weiteren Verlauf stellte heraus, dass diese auch eine geeignete Folgeeinrichtung für den Jugendlichen war (Wohnplatz mit Lehrstelle) und er wurde fix übernommen.
4.3. Ergebnisse
Dem Untersuchungsteam ist bewusst, dass es sich um eine sehr kleine Stichprobe handelt. Es ist jedoch davon auszugehen, dass ähnliche Problemlagen und Krisendynamiken auf die meisten betroffenen Kinder und Jugendlichen zutreffen. Die Zusammenschau der Ergebnisse der Einzelfälle ergab folgende Parallelen:
Risikofaktoren
In Anlehnung an die erarbeiteten Risikofaktoren aus dem Projekt „Kinder zwischen den Sesseln (2013), ergeben sich folgende Übereinstimmungen:
Alle der untersuchten K/J haben folgende Risikofaktoren:
- Eltern leben getrennt
- Beziehungsstörung Eltern-K/J
- Beziehungsabbrüche
- Zerrüttete Familienverhältnisse
- Niedriger sozioökonomischer Status
- Traumatisierung des K/J
Alle K/J zeigen spätestens in der Krise extreme Verhaltensauffälligkeiten. Spätestens dann werden die K/J psychiatrisch diagnostiziert, es kommt zu mindestens einem KJPP-Aufenthalt und der Medikation mit Psychopharmaka.
Darüber hinaus weisen die untersuchten K/J zwischen 12 und 21 von den insgesamt 24 ausgewählten Risikofaktoren auf. Aus dem Projekt „Kinder zwischen den Sesseln“ wurde ersichtlich, dass die Gefahr für K/J zu „Wanderpokalen“ zwischen den Institutionen zu werden, mit der Anzahl der Risikofaktoren steigt.
Unterbringungsindikation
Der Grund für die erste Unterbringung scheint in allen Fällen plausibel und die Maßnahme gerechtfertigt.
Eignung der Einrichtung
Die Eignung der Einrichtung ist in allen Fällen gegeben.
Diagnostik
- Soziale Diagnostik erfolgte in allen Fällen
- Psychologische Diagnostik: teilweise gar nicht oder zu spät
- Psychiatrische Diagnostik erst bei Auftreten der Krise. Auftrag und Zielformulierung
Es gab zwar in allen Fällen klare Aufträge und Ziele, allerdings wurden diese den Bedürfnissen/Störungen der K/J nicht gerecht. (Bsp.: Der Schulabschluss sollte nicht das Hauptziel bei der Unterbringung in einer KJH-Einrichtung sein.)
Kooperationsvereinbarungen
Über die Kooperation zwischen Eltern, Kinder- und Jugendhilfe und Einrichtung bestanden keine Vereinbarungen und etwaige Konfliktfelder wurden nicht benannt. In 3 von 4 Fällen wurden die Eltern aus der Kooperation verloren, bzw. waren nicht in der Lage im Sinne des K/J an der Zielerreichung mitzuwirken.
Überprüfung und Adaptierung von Zielen
Die Behandlungspläne wurden im Verlauf der Unterbringung in 3 von 4 Fällen nicht überprüft.
Beziehungsabbrüche
Beziehungsabbrüche fanden während der Unterbringung in allen Fällen statt. Diese waren teils unvermeidbar, teils vermeidbar oder unzureichend berücksichtigt und begleitet.
Personelle Engpässe
Personelle Engpässe lagen in 3 von 4 Fällen vor.
Negative Teamdynamik
Eine Teamdynamik mit negativen Auswirkungen auf die K/J wurde In 3 von 4 Fällen beobachtet. Der Wunsch nach Ausschluss des K/J mit einhergehender Resignation stand dem Bestreben nach zusätzlicher Investition in die Krisenbewältigung gegen-über und blockierte dadurch das Team.
Unklare Organisationsstrukturen
Die gemeinten Strukturen beziehen sich auf ein transparentes, klares und zielgerichtetes Vorgehen mit eindeutigen Zuständigkeiten und Kommunikationswegen im Krisengeschehen. Diese waren in 2 von 4 Fällen nicht gegeben.
Reflexionsmöglichkeit
Allen Betreuungsteams stand Supervision zur Verfügung.
Interventionen
Alle befragten Einrichtungen organisierten einen externen Krisenplatz. Unterschiedlich gestaltete sich die Einbeziehung und Präsenz der Kooperationspartner sowie die Zieldefinition der Krisenunterbringung, insbesondere in Bezug auf das Anstreben einer Rückführung in die Einrichtung.
Zusammenfassung
Es zeigte sich, dass die K/J im Vorfeld eine erhöhte Anzahl von Risikofaktoren mitbrachten. Unklarheiten und Defizite manifestierten sich wiederholt in der Gestaltung der Kooperationsvereinbarungen sowie in der Evaluation und Adaptierung der Ziele bzw. Behandlungspläne. Häufig kam es zu Beziehungsabbrüchen während der Unterbringung, die mitunter unzureichend begleitet wurden. Trotz vorhandener Reflexionsmöglichkeit und professioneller Begleitung manifestierte sich überwiegend eine krisenverschärfende Teamdynamik. Ziel der Krisenunterbringungen war nicht immer die Rückführung in die betroffenen Einrichtungen, sondern bereits ein Teil des „Ausstoßungsprozesses“.
5. Mögliche Interventionsformen
Diese betreffen sowohl die K/J, die in den Einrichtungen nicht mehr tragbar erscheinen bzw. bei welchen ein Abbruch der Unterbringung droht, als auch die jeweiligen Einrichtungen selbst.
5.1. Voraussetzungen
Über Vermittlung der KJH kann die Leitung der jeweiligen Einrichtung eine fachlich kompetente Stelle (mobiles Unterstützungsteam = MUT) einschalten. Dieses Team soll rasch und gut erreichbar sein und ambulante Dienstleistungen für die betroffene Einrichtung anbieten sowie stationäre „Auszeitmöglichkeiten“ für K/J organisieren können. Das mobile Unterstützungsteam muss sowohl psychologische, psychodynamische und organisationale Kompetenzen einbringen, um den jeweiligen Fall im Interesse des K/J behandeln zu können. Ähnlich der oben beschriebenen Vorgangsweise klärt, analysiert und erarbeitet MUT mit der Einrichtung die nächsten Schritte. Die Dokumentation bzw. ein Bericht inklusive einer Empfehlung für das weitere Procedere an die Leitung der Einrichtung und die Entscheidungsträger GS6 und GS7 stünde am Ende der Intervention.
5.2. Die Aufgaben/Interventionen des Mobilen Unterstützungsteams (MUT)
- Klärung, Analyse und fachliche Einschätzung des Falles
- Koordination zwischen Krisenplatz und Einrichtung
- Berichterstattung und Empfehlung
- Organisation einer Auszeitmöglichkeit für die K/J während der Krisenbearbeitung
6. Zusammenfassung und Ausblick
Aufgrund der komplexen Störungsbilder der K/J sowie der Wechselwirkungen von individuellen, systemischen und institutionellen Faktoren geraten auch Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe regelmäßig in Krisen. Die Arbeitsgruppe KIKDI hat Präventionsmaßnahmen und Ursachen für Krisen in Institutionen beschrieben, diese anhand von Fallbeispielen untersucht und gezeigt, dass die Interventionen eines mobilen Unterstützungsteams zur konstruktiven Bewältigung der Krise beitragen können. Seitens aller untersuchten Einrichtungen bestand ein hohes Maß an Interesse und Kooperationsbereitschaft sowie das Anliegen der Etablierung eines mobilen Unterstützungsteams.
Zusammenfassend zeigte sich, dass die K/J im Vorfeld eine erhöhte Anzahl von Risikofaktoren mitbrachten. Unklarheiten und Defizite manifestierten sich wiederholt in der Gestaltung der Kooperationsvereinbarungen sowie in der Evaluation und Adaptierung der Ziele bzw. Behandlungspläne. Häufig kam es zu Beziehungsabbrüchen während der Unterbringung, die mitunter unzureichend begleitet wurden. Trotz vorhandener Reflexionsmöglichkeit und professioneller Begleitung manifestierte sich überwiegend eine krisenverschärfende Teamdynamik. Ziel der Krisenunterbringungen war nicht immer die Rückführung in die betroffenen Einrichtungen, sondern bereits ein Teil des „Ausstoßungsprozesses“. Schließlich war auffallend, dass die Eltern der K/J den Krisenprozess häufig nicht förderlich begleiten konnten, bzw. bereits im Vorfeld aus der Kooperation mit der Einrichtung gingen.
Um destruktive Dynamiken abzufedern („Wanderpokale“) und die Prognose der betroffenen K/J zu verbessern, sollten den Einrichtungen planmäßig die beschriebenen externen Unterstützungsmöglichkeiten rechtzeitig zur Verfügung stehen. Eine damit einhergehende Entschleunigung des Krisenverlaufs sowie zielgerichtete, professionelle Interventionen tragen wesentlich zu einer Stabilisierung und langfristig zu einer besseren Prognose für die Kinder und Jugendlichen bei.
7. Literaturhinweise und Links
Grögl-Buchart, M. (2012): „Ene meine meck, und du bist weg.“ Unbewusste Ausschlussmechanismen in der stationären sozialtherapeutischen Behandlung von Kindern und Jugendlichen aus familien-, team-, und organisationsdynamischer Sicht. Referat 7. Hinterbrühler Symposium.
Plattform Kindernetzwerk, Arbeitskreis Helferkonferenzen (2013): Helferkonferenzen.
Plattform Kindernetzwerk, Arbeitskreis Kooperationsleitfaden (2014): Handlungsleit-faden zur Kooperation aller beteiligten Institutionen zur Betreuung von Kindern mit komplexem Hilfebedarf.
Plattform Kindernetzwerk, Arbeitskreis „Kinder zwischen den Sesseln“ (2013): Hochrisiko Kinder.
Sonneck, G. (2012): Krisenintervention und Suizidverhütung. Wien: Facultas WUV
Tatzer, E. (2013): Krisenunterbringung – als systemischer Prozess gesehen.